…leidet womöglich unter Empörungssucht.
Dieser Begriff ist keine eigene Wortschöpfung, denn ich bin heute früh bei Dr. Michael Blume darauf gestoßen. Dort im Zusammenhang mit Internet-Trollen, die – dem schwindenden Publikum auf der muskofaschistischen Plattform X nachtrauernd – sich inzwischen im Fediverse, besonders auf Mastodon, ein neues Biotop für ihre Trolltiraden zu schaffen suchen. Aufgrund des hohen Grades an aufmerksamer Moderation im Fediverse auf Grundlage unzähliger Instanzen gelingt das eher schlecht. Trolle werden recht schnell geblockt – nicht nur von Instanzbetreibern, sondern auch von Nutzern.
Nun aber zu meinem eigentlichen Thema und zu der netten Koinzidenz heute früh mit dem Thema Empörungssucht.
Ist das noch Kabarett?
Oder muss das besser weg?
Ich war auf einer meiner Youtube-Touren unterwegs, auf der Suche nach Videos von Motorradfahrern, die ihre ersten Erfahrungen mit einem neuen Helm vorstellten, der mich interessiert, später dann zum Ausklang des Abends noch etwas Torsten Sträter. Und dabei stieß ich auf Videos, die sich offensichtlich einem aktuell schwelenden Disput unter Kabarettisten und/oder Comedians widmeten — aber ist das wirklich so?
Es ging um eine Auseinandersetzung zwischen Dieter Nuhr und Sarah Bosetti auf offener Bühne einer Plattform… die ich nicht kenne. Was darf Kabarett?

Nun war schon seit zahlreichen Monaten immer wieder einmal mehr oder minder empört die Rede von Dieter Nuhr und seiner Art der Comedy bzw. des Kabaretts. Einigen Kolleg*innen stieß offenbar unangenehm auf, wie sich Dieter Nuhr zu bestimmten Themen des jeweils aktuellen Teils der medialen Aufmerksamkeitsökonomie zu stellen scheint. War da plötzlich jemand, der im Gewande des Kabarettisten dem rechten Mainstream zu frönen scheint? Ein Nestbeschmutzer gar im Felde der selbstverständlich links verorteten Kabarettszene? Einer, der seine Satire nicht den Unterdrückten und Benachteiligten einer rechts-neoliberalen Gesellschaftssicht widmet? Was darf Kabarett?
Darf denn das sein oder muss das besser weg?
Ich erinnere mich, dass es zu Beginn der Empörung Forderungen an die ARD gab, seine Sendung »Nuhr im Ersten« zu canceln.
Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, dass Nuhr in anderen Kreisen von Kabarettisten (Die Anstalt) ab und an mal empört erwähnt wird – eher aber als kurze Randnotiz. Manche brauchen das wohl.
Auch Sarah Bosetti hatte meiner Erinnerung nach mehrfach ihre Dieter-Nuhr-Momente in ihren Beiträgen aus »Bosetti will reden».
Dieter Nuhr übrigens habe ich mehrfach in Interviews Stellung beziehen sehen zur Kritik an seinen Statements.
Wie dem auch sei…
Jetzt ist es so:
Ich mag Dieter Nuhr. Natürlich kenne ich ihn nicht persönlich. Ich mag seine Art Comedy/Kabarett, und ich mag die meisten der Gäste, die er in seine Sendung einlädt. Weswegen ich diese regelmäßig schaue. Allerdings ist auch mir ab und zu aufgefallen, dass er durchaus gerne mal ad personam geht, wo es ihm gerade politisch in die kabarettistisch argumentative Linie passt, doch gerade keine überzeugenden Sachgründe greifbar zu sein scheinen.
Nein, ich kann jetzt als Beleg kein konkretes Beispiel anfügen. Aber ich erscheine mir selbst glaubwürdig genug, dass mir meine nicht konkretisierbare Erinnerung ausreicht, um das so zu schreiben.
Ich mag Sarah Bosetti. Natürlich… ihr wisst. Ich mag ihre Art, wie sie über die meist männlichen Absonderlichkeiten redet, die uns allen in der täglichen Aufmerksamkeitsökonomie begegnen. Das leere Politikergerede (und das anderer Wichtigtuer), das unablässige mediale Aufplustern sich nicht als wichtig genug genommen empfindender männlicher Klein-Hominiden.
Ich mag übrigens auch Die Anstalt.
Aufmerksamkeit!
Natürlich ist ganz klar, dass in Zeiten sogenannter »Sozialer Medien« gerade Sarah Bosetti ganze Horden hasserfüllter bornierter kleiner Männer auf sich zieht. Leute, die empört und wütend in ihren kleinen Kämmerchen sitzen, sich nicht genug wichtig genommen fühlen, Angst vor dem Erfolg »starker Frauen« haben und jedes kleine Fensterchen in eine willfährige aufgereizte Öffentlichkeit zu nutzen trachten, ihre ganze angefressene Wut und Unzufriedenheit so laut wie möglich rauszuposaunen – dorthin, wo sie gerne gehört und aufgenommen wird, um wiederum noch mehr Hass und Empörung zu schüren. Vielleicht ist das Testosteronirritation…
Es geht eben um maximale Aufmerksamkeit für IM GRUNDE GAR NICHTS.
Es ist nichts weiter als eine aufgeblasene Empörungskultur… nein: Empörungs-Unkultur. Aufmerksamkeitsökonomie, die sich permanent selbst nährt und verstärkt. Oder:
Am Ende ist es ein lukratives Geschäftsmodell findiger Geschäftemacher. Denn es geht um nichts weiter als um Klicks, Aufmerksamkeitsminuten, Werbung. Um Geld also. Wut verdient Geld. Und die Wütenden sind zuletzt die Verlierer, denn sie zahlen den Preis.
Die Youtube-Videolisten zu solchen kontroversen Themen (vgl. oben) unterscheiden sich nicht ohne Grund überhaupt nicht von den Seiten der bekannten schreihalsigen Boulevard-Schmierblätter.
Bullshit Bingo der sozialmedialen Art
Ob jetzt Nuhr Bosetti »rasiert« oder »zerlegt« oder umgekehrt. Ob dabei irgendwer linksgrünwoke oder rechtstransphob, weißaltmannig oder sonstwas geheißen wird – es ist Bullshit Bingo um Aufmerksamkeit.
Es ist wie mit den empörungssüchtigen Trollen, von denen Herr Blume schreibt. Füttert sie, nehmt sie wahr, dann kommen sie in Scharen und machen sich überall breit.
Ich habe das offenkundig fast zweistündige Gesprächsvideo zwischen Dieter Nuhr und Sarah Bosetti NICHT angeschaut. Werde es auch NICHT anschauen. So, wie ich auch die bekannten politischen »Talkformate« im Fernsehen grundsätzlich nicht schaue.
Weil es mich aus dargelegten Gründen NICHT interessiert.
Mich interessiert nicht, was die eine an dem anderen auszusetzen hat und umgekehrt. Beide mögen ihre persönlichen Befindlichkeiten gegeneinader haben oder nicht, wie auch ich meine persönlichen Befindlichkeiten habe. Und damit ist’s gut. Im Übrigen wurde das Kabarett schon immer auch von persönlichen Befindlichkeiten seiner Protagonist*innen gegenüber Berufskolleg*innen mitgeprägt, wie ich inzwischen gelernt habe.
Ich werde weiterhinKabarett und Comedy schauen, natürlich auch Nuhr und Bosetti. Das inzwischen wohl unvermeidliche Begleitgetöse von Empörungsunkultur aber werde ich auch in Zukunft dort liegen lassen, wo es hingehört: ganz am Rande meiner Aufmerksamkeit. Dort, wo auch die Trolle begraben liegen.