TV ohne Kabelvertrag

Seit fünf Wochen habe ich nun keinen TV-Kabelvertrag mehr und schaue fern meist über die in meinem Smart-TV installierten Mediatheken von ARD und ZDF, gelegentlich auch Arte. Oder ich nutze die Möglichkeit, über den EPG meines Amazon Fire-TV-Sticks Sendungen quasi linear, aus dem Gesamtüberblick heraus auszuwählen.

Zwischenfazit

Der wesentliche Unterschied im Zugang zu TV-Programmen ist, das dieser inzwischen über die strukturierten Apps der beiden großen Programmanbieter (plus Arte) erfolgt und nicht mehr wie früher über eine geordnete nummerierte Programm- bzw. Senderliste.

Letzteres war die ideale Präsentationsform für lineares Fernsehen und entsprach geradezu perfekt der Struktur von EPGs. Man benötigte lediglich in beiden Darstellungen dieselbe Senderreihenfolge und hatte den perfekten Überblick über das gerade oder folgende laufende Gesamtprogramm.

Linear vs. Nicht-linear bzw. kategorial

Der Zugang mittels Mediatheken nährt eine andere Weise, sich TV-Programm zugänglich zu machen. Ich verschaffe mir extern einen Gesamtüberblick über das gesamte Tagesprogramm »meiner« Sender mit Hilfe der Software/App TV-Browser. Am Ende aber informiere ich mich eher inhaltlich anhand verschiedener Programm-Kategorien in den Mediatheken darüber, was gerade für mich Interessantes im Streamingangebot zu finden ist.

Man kann sicherlich geteilter Meinung sein, was die Übersichtlichkeit der ÖR-Mediatheken angeht. Ich finde sie inzwischen weitgehend tauglich – mit gut Luft nach oben. Aber sie zeigen m.E., dass die Sendeanstalten den Wandel verstanden haben, der in der TV-Welt gerade stattfindet. Und dass sie längst begonnen haben, ihn mit ihren Programmangeboten mitzugestalten.

Olympischer Wandel

Besonders zu den gerade laufenden Olympischen Spielen in Paris zeigt sich das deutlich – und es zeigt sich auch besonders ergiebig mein persönlicher Wandel der Nutzung der Möglichkeiten.

Ich schaue gleichermaßen den durchgängig laufenden linearen Livestream der beiden Sender, schalte aber bei Interesse immer zu den Streams einzelner Sportarten, die mich interessieren. Und ich bewege mich dann oft entlang der Zeitachse, um zum Beginn oder zu früheren Phasen einer Veranstaltung zu gelangen. Am Ende eines Olympiatages habe ich fast alles live oder quasi-live gesehen, was mich interessiert. Diese Möglichkeit gab es früher im rein linearen Fernsehen gar nicht. Man war auf mehr oder minder kurze Zusammenfassungen angewiesen.

Ein Blick zurück

Interessant finde ich, wie deutlich heutiges Fernsehen von einigen Vorstellungen abweicht, die mehr oder weniger Beteiligte am Fernsehgeschehen vor, sagen wir, rund 40, 45 Jahren hatten. Ich kann mich erinnern, dass es starke Visionen in Richtung interaktives Fernsehen gab. Der Zuschauer würde starken Einfluss auf den Verlauf von Sendungen haben können. Es würde unmittelbare Teilnahme von Zuschauern in Talksendungen geben, videokonferenz-ähnlich. Es würde Live-Interaktion geben mit Einfluss auf die Fortführung von Spiel- oder Filmhandlungen (Zuschauer wählen zum Sendezeitpunkt mehrheitlich aus vorgegebenen Varianten von z.B. Krimi-Auflösungen u.a.m)

Manches davon wurde experimentell erprobt, aber nichts davon ist schließlich Realität geworden. Auch das Fernsehen in den Zwanzigerjahren ist passiv konsumierend, auch wenn es sich tendenziell von der Linearität verabschiedet. Das gilt fast nahtlos für wahrscheinlich auch die meisten anderen Medienformen. Für Musik, Theater, Film und andere.

Das wird schlicht daran liegen, dass wir Menschen neben interaktiven, gesellschaftlich orientierten Formen der Freizeitgestaltung immer auch den passiven Medienkonsum schätzen. Wir wollen Musik hören, Filme und Fernsehen wie Theater und Oper schauen, kontemplativ Kunst schauen. Wir wollen gar nicht mitmachen, wir wollen uns unterhalten lassen und genießen.

Wer würde uns das ernsthaft abstreiten wollen?

Kommentare

Eine Antwort zu „TV ohne Kabelvertrag“

  1. Joyn.de gibts auch in einer kostenlosen Variante. Die bieten auch jede Menge „Live TV“.